Dr. med.  Alois Fürmaier

Was ist psychodynamisches Denken?



Es handelt sich hier um eine grundlegende Denkweise zum Verständnis Tiefenpsychologisch orientierter Psychotherapie. Die bei uns in Deutschland so benannte Therapieform heißt im anglo – amerikanischen Sprachraum psychodynamische Psychotherapie. Zunächst ist es ein Denken in Beziehungen. Jedes Symptom, jeder Konflikt wird verstanden in seiner Funktion zu unseren Objektbeziehungen auf allen Ebenen und zu allen Zeiten unseres Lebens. Wenn ich frage, was hat das Symptom mit dem Leben zu tun, meine ich , mit allem , was ich erlebt habe. Störungen in den Beziehungen äußern sich in Konflikten. Daher die erste These der Grundprinzipien psychodynamischen Denkens: Die Theorie des unbewussten Konflikts.

Was zwischen einzelnen Menschen in Beziehungen passiert, ist nicht statisch, sondern immer in Bewegung. Es ist auch nur im Prozess erfassbar. Diese dynamische Sichtweise ist eng verbunden mit dem Gedankens von Entwicklung. Das Symptom hat sich aufgrund von Störungen in Beziehungen entwickelt. Diese Sichtweise hinterlässt auch das Element therapeutischer Hoffnung für weitere Entwicklungen in der Zukunft. Schon eine alte ägyptische Inschrift sagt: Ich habe das gestern gesehen, ich kenne das Morgen. Hieraus ergibt sich der zweite Grundpfeiler psychodynamischen Denkens: Die Theorie der lebensgeschichtlichen Entwicklung

So wie die neurotischen Beschwerden sich in der Entwicklung der Beziehungen herausbilden, so macht sich die Lehre psychoanalytischer Therapie auch dieses Phänomen für die Therapie zunutze. Auswirkungen auf das Therapieverständnis: Es ergibt sich der dritte Stützpfeiler psychodynamischen Denkens: Die Theorie der hilfreichen Beziehung

In einer vertikalen Ebene unterscheiden wir zwischen den frühkindlichen Beziehungsebenen, dann der Beziehungsrealität zum Zeitpunkt der Auslösung der neurotischen Symptome, als der Ebene , in der die Wiederkehr des Verdrängten wirksam wird, und sich die frühen Konflikte zum erstenmal reinszenieren. Als dritte Ebene gilt die aktuelle Beziehungskonstellation in der momentanen psychosozialen Realität des Patienten.

Die letzte hinzukommende Ebene ist die Übertragungsbeziehung zum Therapeuten.
H. Kächele spricht hier vom „Bühnenmodell“ des therapeutischen Dialoges.
Es verdeutlicht, dass psychodynamische Psychotherapie die Darstellung eines Konflikts in einer aktuellen Beziehung anstrebt, um durch sprachliches Probehandeln eine Neuinszenierung zu ermöglichen, die eine günstigre Lösung des Konflikts erlaubt.

Das psychodynamische Denken ist auch die Grundlage eines grundlegenden psychoanalytischen Behandlungsparadigmas als einem modernen Konzept der Person, das psychologisch ist, über das naturwissenschaftliche Denken hinausgeht, und dem neurowissenschaftlichen Forschungsstand Rechnung trägt.

Es versteht den Menschen als ein geschichtliches Wesen, das aufgrund seiner Erlebnisse und deren Verarbeitung in der Umwelt die Befriedigung seiner seelischen Grundbedürfnisse sucht, und dann seine Kompetenzen und seinen Willen und seine Ziele entfalten kann. Die Konflikte entstehen zwischen seinen Bedürfnissen und seiner Motivation einerseits und der Umgebungsrealität andererseits. So formuliert wird die psychoanalytische Theorie, die hier in Freuds Ich Begriff akzentuiert ist, anschlussfähig an die moderne Systemtheorie und Psychologische Forschung.

Der zentrale Inhalt der Theorie der „hilfreichen Beziehung“ ist das Konzept von Übertragung und Gegenübertragung. Ü bedeutet, dass in einer psychodynamischen Psychotherapie dem Patienten ermöglicht werden muß, einzelne Aspekte seiner Beziehung zu wichtigen Bezugspersonen in der Beziehung zum Therapeuten wiederzuerleben und aufzuarbeiten. Der Therapeut muß ihm unter Zurückstellung eigener Bedürfnisse diese spiegelnde Funktion zur Verfügung stellen. Hieraus ergibt sich automatisch das Konzept von Neutralität und Abstinenz des Therapeuten. Eine weitere Konsequenz hieraus ist das Konzept der Gegenübertragung. Denn wird die Bedingung von Abstinenz erfüllt, dann spürt der Therapeut auch die Gefühle und Positionen und Emotionen, die der Patient auf ihn überträgt. Er muß sie erkennen, und sie an rechter Stelle einsetzen.
Hohe Anforderungen an einen Therapeuten, was die lange Selbsterfahrung in der psychoanalytischen Weiterbildung rechtfertigt.

Anwendungsbereiche des psychodynamischen Denkens

    A
  • Verständnis der neurotischen Erkrankung
  • Antragsstellung für genehmigungspflichtige Therapien

  • B
  • Theorie der psychoanalytischen Therapie
  • Theorie der Übertragung und Gegenübertragung

  • C
  • Psychodynamische Prozesse außerhalb der Psychoanalyse
  • Beziehungsaspekte im klinischen Alltag und bei allen im psychosozialen
  • Bereich Tätigen
  • Theorie und Praxis der Balintgruppe